Zirkus Karajani?

Manchmal ist es ja von Vorteil, ein bißchen später als die anderen dran zu sein. Herbert von Karajan hätte vorgestern seinen 100. Geburtstag gefeiert und so können wir heute schon auf Geburtstagsberichte von mindestens zwei Tagen zurückschauen. Da ist die Rede vom „Wunder Karajan”, von „Heiligenverehrung”, Bayern4 betitelt sein Ganztagesfeature mit „Fixstern Karajan”. Wer war dieser Dirigent? 

Der Mann, der als Heribert, Ritter von Karajan, am 5. April 1908 in Salzburg geboren wurde, bereits 1929 sein Debüt als Dirigent am Mozarteum-Orchester in Salzburg gab, wurde 1935 Generalmusikdirektor in Aachen. Er trat in die NSDAP Anfang 1933 ein, wurde 1938 Staatskapellmeister der Berliner Staatsoper. Kurz nach dem Krieg, 1948, wurde er Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, leitete ab 1950 die Festspiele von Luzern und übernahm ab 1956 die Leitung der Salzburger Festspiele. Als ob das alles nicht genug gewesen wäre, kam 1955 die Leitung der Berliner Philharmoniker hinzu, 1957 die Nachfolge von Karl Böhm an der Wiener Oper und 1967 die Salzburger Osterfestspiele, die er gegründet hatte. 

Karajans musikalischer Beitrag ist unbestritten und sein Stil vor allem ein Spiegel seiner Zeit. Dass sich mittlerweile das Verständnis in aufführungspraktischen Fragen gewandelt hat, ist normal. Aber er führte in seinen Orchestern einen Qualitätsstandard ein, der seither weltweit zur Norm wurde. 

Karajans Maxime war, dass nichts im Leben ungestaltet bleiben dürfe und so hat er nicht nur akribisch geprobt, in den Opern die Rolle des Regisseurs übernommen, im Studio Regie geführt, sondern auch genauso seine Außenwirkung bis ins Letzte kalkuliert. Der größte Teil seiner späten Film-Musik-Inszenierungen ist geprägt von jenen dramatischen Großaufnahmen mit „verinnerlicht” geschlossenen Augen.

Karajan war – und ist – das, was man heute eine Marke nennt: mit dem Kauf einer Schallplatte kauft der Kunde nicht nur irgendeine Aufnahme, sondern zusätzlich einen ideellen Wert, den er mit dem Produkt verbindet – in diesem Fall der „Mythos Karajan”, die „Aura des Genies”.

Die künstlerischen Leistungen des Dirigenten waren stets an die neuesten technischen Errungenschaften gekoppelt, sei es Stereophonie, Quadrophonie, bis hin zur digitalen Aufzeichnung auf CD, deren Entwicklung er maßgeblich mitbestimmte. Er war ein Musiker, der die Medien wie kein Zweiter für sich einzusetzen und zu nutzen wußte. Er bediente gleichzeitig die vier tonangebenden Labels: Deutsche Grammophon, EMI, DECCA und Philips. 1989 lag der globale Absatz seiner Produktionen bei 250 Millionen Stück, heute liegt sie weit darüber. Noch zur Jahrtausendwende machte die „Grammo” ein Viertel ihres Gesamtumsatzes mit seinen Scheiben.  

Und so ist es ganz folgerichtig, dass heute, in Zeiten gewachsenen Markenbewußtseins, genau darauf gesetzt wird. Die Marke wird wieder belebt, mit genau den Mitteln, die sie entstehen ließ: Karajan analog und digital, als Podcast, als Download, als DVD. Die Frage, ob es bei dem ganzen Rummel wirklich um Musik geht, sei nur am Rande gestellt.

Lassen wir doch den Berlinern das letzte Wort: Für sie ist das zeltartige Gebäude der Philharmonie einfach der „Zirkus Karajani”.

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